Laut einer Online-Umfrage der Pflegekammer NRW kennen 84 Prozent der Befragten das Gefühl, Patient*innen nicht ausreichend pflegerisch versorgen zu können – besonders häufig zeigt sich dies bei Beschäftigten in Langzeitpflegeeinrichtungen. „Dass eine Pflegefachperson nachts allein für mehrere Dutzend Bewohner*innen verantwortlich ist, ist auch in Nordrhein-Westfalen keine Seltenheit“, sagt Marlen Reuter-May, Vorstandsmitglied der Pflegekammer NRW.
31. Mai 2024 – Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Im April hat eine Pflegefachperson in Berlin den Notruf gewählt, weil für die bevorstehende Nachtschicht kein Personal zur Verfügung stand. Ähnliches ereignete sich wenige Tage später in der schleswig-holsteinischen Gemeinde Bark. Bisher handelt es sich um Einzelfälle, allerdings deuten die Ergebnisse einer Online-Umfrage, die die Pflegekammer NRW gemeinsam mit dem Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt hat, auf ein strukturelles Problem hin: 84 Prozent aller Pflegefachpersonen in NRW kennen das Gefühl, Patient*innen nicht ausreichend pflegerisch versorgen zu können. 47 Prozent davon geben an, dass sie ab und zu dieses Gefühl haben, häufiger bemerken dies sogar 37 Prozent der Befragten. Dabei liegt der Anteil derjenigen, die sich häufiger machtlos fühlen, bei den Beschäftigten in Langzeitpflegeeinrichtungen mit 46 Prozent besonders hoch. In der ambulanten Pflege ist der Anteil mit 25 Prozent dagegen unterdurchschnittlich.
„Gerade in den Langzeitpflegeeinrichtungen trifft uns der Pflegenotstand besonders hart. Es gibt immer weniger Personal für immer mehr pflegebedürftige Menschen“, sagt Marlen Reuter-May, Vorstandsmitglied der Pflegekammer NRW. „Mir wird regelmäßig von Kolleg*innen gespiegelt, dass sie unter permanenten Zeitdruck stehen, weil das Personal fehlt, die Qualitätsanforderungen gleichzeitig aber steigen und dazu noch plötzliche Ausfälle – oft auch aus Gründen der physischen und psychischen Überlastung – kompensiert werden müssen. Und auch in Langzeitpflegeeinrichtungen gilt: Bewohner*in ist nicht gleich Bewohner*in. Eine demenzkranke Person ist zum Beispiel sehr zeitintensiv in der Pflege, man muss sich tiefergehend mit ihr beschäftigen.“ Ob sich die Berliner und Barker Fälle in NRW wiederholen könnten? „Ausschließen kann ich das nicht“, sagt Reuter-May. „Dass eine Pflegefachperson nachts allein für mehrere Dutzend Bewohner*innen verantwortlich ist, ist auch in Nordrhein-Westfalen keine Seltenheit.“
Personalbemessungsverfahren sind ein Instrument, um zu berechnen, wie viel Personal pro Bewohner*in und zu welcher Tageszeit eingesetzt werden sollte. „Allerdings gibt es hier bisher noch keine verpflichtenden Vorgaben. Derzeit sind wir noch bei einem Kann, wir brauchen aber ein Muss“, sagt Reuter-May. Klare Vorgaben sind allerdings nur ein erster Schritt. „Damit können vielleicht akute Gefährdungslagen abgewendet werden, aber Personalbemessungsverfahren sichern keine Qualität“, sagt Leah Dörr, Vorstandsmitglied der Pflegekammer NRW. Denn es komme nicht nur darauf an, wie viele Pflegefachpersonen vor Ort sind, sondern entscheidend sei auch, wie gut diese ausgebildet sind und mit welchen pflegerischen Aufgaben sie betraut werden können.
So hat zum Beispiel die sogenannte Rothgang-Studie aus dem Jahr 2020 auch gezeigt, dass viele Pflegefachpersonen regelmäßig Assistenztätigkeiten ausführen, wie etwa die Reinigung der Zimmer, anstatt sich gänzlich auf die originär pflegerischen Aufgaben zu konzentrieren. „Die Pflegenden arbeiten so fremden Berufsgruppen zu. Die Zeit fehlt dann für die Pflegebedürftigen“, sagt Dörr. Daher sei es wichtig, regelmäßig die Berufserfahrungen und Fähigkeiten aller in der Pflegeeinrichtung Beschäftigten zu erfassen. „Durch diesen ausgewogenen Qualifikations-Mix können Aufgaben besser verteilt und die individuellen Stärken jeder Person genutzt werden. Darüber hinaus sollten sie durch gezielte Weiterbildungen unterstützt werden. Diese Kosten können aber die Einrichtungen nicht allein tragen, sondern dazu es braucht bessere Refinanzierungsprogramme“, fordert Reuter-May. Letztlich steigere die Stärkung der pflegerischen Qualität auch die Zufriedenheit im Job und mache auch den Einstieg in den Pflegeberuf langfristig attraktiver.
An der Onlineumfrage des IfD Allensbach haben knapp 2.200 Mitglieder der Pflegekammer NRW teilgenommen. Die Umfrage wurde zeitgleich auch für die Landespflegekammer in Rheinland-Pfalz vorgenommen. Die Ergebnisse stimmen in ihrer Struktur mit den Resultaten von NRW überein, so dass sich daraus Erkenntnisse über die berufliche Situation der Pflegenden in NRW gewinnen lassen.
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