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92 Prozent der professionell Pflegenden haben in den letzten 12 Monaten Gewalt erlebt. Gleichzeitig geben 70% an selbst Gewalt gegenüber Pflegebe-dürftigen ausgeübt zu haben. Aufklärung, Sensibilisierung und Prävention sind dringend notwendig. Die Pflegekammer Nordrhein-Westfalen ist mit ei-ner Expert*innengruppe aktiv.

Düsseldorf, 29. Dezember 2023 – Pflege und Gewalt? So konträr die Begriffe auf den ersten Blick scheinen, so nah sind sie in der Realität miteinander verknüpft. Gewalt im pflegerischen Kontext ist ein alltäglich auftretendes Phänomen. Die Pflegekammer Nordrhein-Westfalen ist mit einer Expert*innengruppe aktiv, um aufzuklären, zu sensibilisieren und vor allem Maßnahmen zur Gewaltprävention voranzubringen. Die Kammer ist wichtige Ansprechpartnerin für die Politik und weiterer Akteure im Gesundheitswesen und brachte bereits zu Jahresbeginn ihre Expertise bei einer Anhörung im Landtag ein. „Gewalt in der Pflege ist immer noch ein Tabuthema. Das müssen wir durchbrechen. Denn wir wissen, dass es täglich zu Gewaltereignissen in den verschiedensten Mustern und Formen kommt“, betont Dominik Stark, Vorstandsmitglied der Pflegekammer NRW. „Jetzt kurz vor Silvester – einem Zeitpunkt ausgelassenen Feierns und möglicherweise gehäufter Grenzüberschreitungen – ist es uns ein wichtiges Anliegen, nochmal darauf aufmerksam zu machen. Wir wollen aufklären und unsere Berufsgruppe für das Thema sensibilisieren. Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor Gewalt müssen höchste Priorität haben. Das gilt sowohl für Gewalt gegenüber professionell Pflegenden als auch gegenüber Pflegebedürftigen“.

92 Prozent der befragten Pflegefachpersonen aus den Settings stationäre Langzeitpflege, Krankenhaus und ambulante Pflege haben laut einer vom Gewaltpräventionsprojekt PEKo in vier Bundesländern durchgeführten schriftlichen Befragung in den letzten 12 Monaten mindestens eine Form von Gewalt im Pflegealltag erlebt. Psychische Gewalt wurde von 90 Prozent erlebt, körperliche Gewalt von 69 Prozent. Gleichzeitig gaben 70 Prozent an, selbst gegenüber Pflegebedürftigen mindestens eine Form von Gewalt ausgeübt zu haben. Hier sind neben Vernachlässigung mit 55 Prozent auch psychische Gewaltereignisse mit 50 Prozent besonders präsent. Im PEKo Projekt wurden Einrichtungen der drei unterschiedlichen Versorgungssettings in der Erarbeitung individuell angepasster Maßnahmen zur Gewaltprävention unterstützt. Zwei Mitarbeitende aus dem Projekt sind Mitglied in der Expert*innengruppe der Pflegekammer NRW.

Viele Pflegefachpersonen berichten auch von sexualisierter Gewalt in ihrem Arbeitsalltag. So zeigen die Ergebnisse einer Studie von Adler et al. zur Untersuchung sexueller Belästigung durch Patient*innen, Klient*innen und Bewohner*innen von 2021, dass etwa die Hälfte der Befragten physische sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz erfahren haben.

Zu den zielgerichteten Präventionsmaßnahmen zählen aus Sicht der Expert*innengruppe insbesondere Fortbildungen und Aufklärungskampagnen sowie die Stärkung fachlicher und personaler Kompetenzen des Pflegepersonals. Neben gezielten Deeskalationstrainings zur Stärkung der Handlungssicherheit sollten die unterschiedlichen Facetten von Gewalt möglichst flächendeckend thematisiert und Pflegefachpersonen auch für „leise“ Gewaltformen sensibilisiert werden. Zudem sind geschulte Führungspersonen, die einen offenen Umgang mit dem Thema Gewalt am Arbeitsplatz pflegen, Gewalt erkennen und eine systematische Aufarbeitung ermöglichen, unverzichtbar.

Die Pflegekammer NRW ist in ihrer Funktion die zentrale Anlaufstelle, wenn es um Berufspflichtverletzungen im pflegerischen Kontext geht. Rund 98 Prozent der Fälle, die die Kammer erreichen, werden bislang über die Staatsanwaltschaften an die Kammer herangetragen. Lediglich rund zwei Prozent werden durch Pflegefachpersonen, Pflegeempfänger*innen oder deren Angehörige gemeldet. Die Kammer plant daher mit einem Leuchtturmprojekt ein praxistaugliches Meldesystem für Berufspflichtverletzungen zu implementieren. Vorstandsmitglied Sonja Wolf ist die Ressortverantwortliche für das Projekt und erläutert: „Zu den Aufgaben der Pflegekammer zählt die Berufsaufsicht über unsere Profession. Ein sogenanntes ‚Whistleblower-System’ soll es Pflegefachpersonen ermöglichen, auf pflegefachliche Gefahren hinzuweisen. Aspekte von Gewalt spielen hier eine besonders wichtige Rolle. Selbstverständlich können Berufspflichtverletzungen auch anonym gemeldet werden. Das soll helfen, mögliche Hemmschwellen abzubauen. Denn es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer an beobachteten Fällen sehr viel größer ist. Hier müssen wir einen niedrigschwelligen Meldeweg etablieren.“

Hinweis an die Redaktionen

Hinter dem Gewaltpräventionsprojekt PEKo („Partizipative Entwicklung und Evaluation eines multimodalen Konzepts zur Gewaltprävention“) steht ein Verbund aus vier Hochschulen. Die Universität zu Köln, die Universität zu Lübeck, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und die Hochschule Fulda setzen mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse Gewaltpräventionsmaßnahmen in pflegerischen Einrichtungen um. Weitere Informationen können Sie der Webseite entnehmen: www.peko-gegen-gewalt.de

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